Freitag, 23. Dezember 2011

Ratschläge sind auch Schläge ...

Ach, wie sehr liebe ich es, wenn irgendwelche Leute nur „mein Bestes“ wollen und mich zu diesem Behuf ungefragt mit dem, was sie für „gute Ratschläge“ halten, überschütten! Das beginnt bei jener Bekannten, die ihre Berufung offenkundig darin sieht, aus ihrer Diabetes einen Fulltime-Job und aus meiner einen Consulting-Auftrag im Umfang einer Konzern-Sanierung zu machen; das geht weiter mit Madame Oberschlau im Reitstall, die zu jeder Krankheit – ob sie nun Ross oder Reiter betrifft – die passenden Bachblütchen oder Heilpraktiker hat und gipfelte heute in einer Zufallsbekanntschaft an der Kasse des Supermarkts.

Ich muss zugeben, dass ich mir die Langeweile beim Warten dort auch gerne damit vertreibe, anderer Leute Einkäufe im Hinblick darauf, was es bei denen wohl zu essen gibt, anzugucken. Und ja, ich habe auch schon diverse Male gedacht: „Hmm – Dosenfutter und Fertigpizza! Und wenn du der Familie mal was ganz gutes gönnen willst, holst du wohl einen Hamburger bei McDoof?“ Aber ich behalte meine Meinung im Allgemeinen für mich.

Die Dame, die heute hinter mir stand, hat das nicht getan. Sie studierte interessiert den Inhalt meines Einkaufswagens und als ich dann – nach einem halben Dutzend Tüten Tropi-Frutti von Haribo, drei Packungen Butterkeks und drei Tafeln Vollmilch-Schokolade – auch noch einen dicken, fetten Schweinebraten aufs Band packte, hielt es Madame nicht länger. Schmallippig teilte sie mir mit, dass Schweinebraten aber doch wirklich zu fett sei! Dabei guckte sie übrigens nicht mehr auf den Schweinebraten, sondern demonstrativ auf meine Wampe.

Ja, ich gebe zu: Ich bin ein Ühu. Mein Körpergewicht und mein Taillenumfang liegen über hundert. Ich vermute, dass mein IQ ebenfalls darüber liegt, aber das  sieht man mir nicht an – weswegen sich die Dame an der Kasse wohl auch veranlasst fühlte, mir einen kostenlosen Crashkurs in Ernährungslehre zu verpassen, der damit begann, dass Schweinebraten zu fett ist, man Creme Fraiche (da hatte ich auch einen Becher voll im Wagen) durch Magermilch ersetzen kann und es überhaupt empfehlenswert wäre, sich „ausgewogen und kalorienarm“ zu ernähren, speziell, wenn man – an dieser Stelle dann wieder ein Blick auf meine nicht vorhandene Taille – Gewichtsprobleme hätte.

Mei, mei, darauf wäre ich nie gekommen! Man sieht es mir ja schon von weitem an: Ich bin ein Moppel. Und als solcher hebe ich meinen Hintern nur vom Sofa, um zwecks Nachschubbeschaffung in den nächsten Supermarkt zu watscheln, wo ich sodann Tonnen von Chips, Gummibärchen, Schokolade, fetten Schweinebraten, Creme Fraiche und Fritten kaufe. Kaum wieder auf meinem Sofa zuhause angekommen, schaufle ich alles in mich rein und spüle dann mit drei, vier Liter Coke nach. Meine einzige Körperertüchtigung besteht darin, dem Pizzaboten die Tür zu öffnen und meine Fortbildung zum Thema „Ernährung“ im Studium von Menükarten (wobei mich natürlich immer ganz besonders interessiert, ob man die Pizza auch mit zusätzlich Käse im Rand kriegen kann).

Dazu habe ich übrigens eine masochistische Ader. Wie anders wäre es denn zu erklären, dass ich mich im Supermarkt schräg von der Seite anquatschen und im Krankenhaus ungefragt auf 600 Kalorien-Diät setzen lasse? Der Chefarzt in besagtem Krankenhaus hat’s ja auf den Punkt gebracht: Ich bräuchte nur ein „bisschen Disziplin“, dann wäre ich mein Übergewicht im Husch los! So einfach ist das! Ein „bisschen Disziplin“ und dann vielleicht noch eine kleine „Ernährungsumstellung“ …

„Ernährungsumstellung“ ist ja offensichtlich das Zauberwort! Neulich habe ich zum Beispiel gelesen, dass eine Lady im Norden gut 50 Kilogramm Übergewicht alleine dadurch losgeworden ist, dass sie konsequent das Fett in ihrer Ernährung weggelassen hat. Und das ist ja so einfach! Statt Schweinebraten fettlos gebratenes Putenschnitzel, statt feinem Buttergemüse gedünstetes und den Salat machen wir künftig am besten gar nicht mehr an. Der kleine, geschmackliche Unterschied – also, den sollte man mit ein „bisschen Disziplin“ schon aushalten, nicht?

Wissen Sie was? Wenn ich wüsste, dass ich nur mal konsequent für einige Monate „Disziplin“ aufbringen und auf gewisse Genüsse verzichten müsste, um dann nicht mehr von der Seite angequatscht oder dumm angeguckt zu werden, täte ich es. Das Dumme ist aber, dass ich meinen Körper und die neueste Ernährungsforschung kenne. Ich weiß, dass ich ein Leben lang hungern und mir alles, was auch nur einigermaßen schmeckt, verkneifen müsste, um auch nur „Normalgewicht“ – von Ideal will ich ja gar nicht reden! – zu halten! Ich habe nämlich leider, leider bei der Genlotterie eine Niete gezogen: Viermal wohlbeleibte Großeltern; eine Mutter, die ihr Leben lang gegen Übergewicht gekämpft hat und einen Vater, der früher auch ein ganz strammes Bäuchlein spazieren trug. Wenn ich ein Pferd wäre, würde man mich als „gute Futterverwerterin“ loben. Mein Körper schafft es nämlich, auch aus relativ kleinen Portionen sehr viele Nährstoffe herauszuziehen und Fettpölsterchen anzulegen. Ich wäre für Notzeiten optimal ausgerüstet.

Aber dummerweise findet bei uns die Not nur noch in den Köpfen derer statt, die stolz auf ihr „Idealgewicht“ sind – und denen dabei gar nicht die Idee kommt, dass sie ihre 36er Zwetschen-Ärschchen weniger ihrer „Disziplin“ beim Essen als ihrer Genetik zu verdanken haben! Doch andererseits vermute ich, dass die Dame, die mir da heute in den Einkaufswagen geguckt hat, nicht eben viel Spaß beim Essen hat. Also gönne ich ihr wenigstens den, heute einen guten Ratschlag ausgeteilt zu haben.

Bei uns gibt’s aber morgen dennoch Schweinebraten. Mit Creme Fraiche Sauce. Und Knödeln für mich. Zwei sogar – dick und flauschig. Und danach gönne ich mir noch ein paar von den wundervollen Weihnachtsgutsle, die mir meine Freundin Eva letztes Wochenende geschenkt hat. Ich bin ein Moppel und ich bleibe es.

Nur die Chips lasse ich aus. Die mag ich nämlich nicht – ebenso wenig wie die Gummibärchen und Butterkekse. Die Ladung war nämlich für meinen inzwischen sehr mageren Herrn Papa bestimmt, der damit immer die Eintopfphasen in seinem Altersheim überbrückt. Und sollten Sie das nächste Mal den Einkaufswagen vor sich studieren: Nicht alles, was jemand zur Kasse fährt und bezahlt, landet auch schon in seinem Magen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen