Sonntag, 27. November 2011

Begegnung im Park

Es regnet – und so anglisiert, dass ich mich nun in Regenhose und Reitmantel stürze, um des dicken Schimmels Lieblingsbeschäftigung – so durch Pfützen traben, dass ich hinterher nicht nur seinen Bauch und die Beine, sondern auch den unteren Teil von mir von Dreckbatzern befreien muss – nachzugehen, bin ich dann auch wieder nicht. Schon gar nicht, wenn er schon geputzt, mit frisch geschnittener Mähne, sorgfältig ausgebürstetem (und wahrscheinlich mit einer halben Dose Spray behandelten – ich bin froh, dass ich unter anderem für einen Hersteller von Reitsportequipment arbeite, denn sonst könnte ich mir den Spray-Verbrauch gewisser, junger Damen beim Herausputzen meines Pferdes nicht leisten) Schweif und auf allen Vieren höchst kunstvoll bandagiert (ich bin schon froh, wenn ich „irgendwie“ Bandagen ans Tier bringe. Wie dieses Kind es schafft, die so zu applizieren, dass die bestickten Verschlüsse alle nach außen zeigen und alle ungefähr auf gleicher Höhe sitzen, ist mir ein Rätsel) im Stallgang steht und neben ihm eine mir durch Verehelichung anverwandte, junge Dame (= Stiefenkelin) diesen „Ich hab’ ihn so schön gerichtet. Darf ich ihn jetzt – bitte-bitte – auch reiten?“-Blick drauf hat.

Da bin ich doch mit Wonne die großzügige Stief-Oma, lobe das Kind (das sich ob der Würde ihrer 16 Jahre garantiert gegen diesen Ausdruck verwahren würde) und erlaube ihr in meiner unendlichen Güte, sich mit dem Ross erst eine halbe Stunde auf den Reitplatz zu begeben, um dort unter den wachsamen Augen der Stallchefin den dicken Luxuskörper zu gymnastizieren – was man landläufig auch „Dressur“ nennt und was sie, ungewöhnlich für eine Engländerin, aber nicht so abwegig für ein Mitglied dieser Familie (von der der Professor mal behauptete, sie habe einige Mitglieder, die „half horse, half human“ seien), mit Wonne tut. Anschließend darf sie dann mit ihm noch eine halbe Stunde im Park bummeln – aber bitte bummeln! Ich möchte hinterher nicht hören, dass irgendwelche Spaziergänger (den Engländern graut ja vor keinem Wetter, daher rennen die auch bei Regen hier rum) auf der großen Allee auf irgendwelche Bäume flüchten mussten, um nicht von dickem Schimmel mit Klecks im Sattel im Galopp überrollt zu werden. Und ja, ich weiß auch, dass sein Galopp sich „upper hot“ anfühlt. Dennoch muss Klecks im Sattel ihn nicht im Park exerzieren. Der Reitplatz ist groß genug und da besteht keine Gefahr, dass sich meine (geschätzten) 700 kg Pferd mit den (geschätzten) 45 kg im Sattel verselbständigen und in der nächsten Grafschaft landen.

Aber bei „Bummel im Park“ fällt mir die ältere Dame mit den lila angehauchten Locken ein, die üblicherweise morgens gegen 11 im Park mit ihrem Hund (wobei der Professor übrigens bestreitet, dass dieses Teil, mit dem sie durch den Park spaziert, der Gattung canis lupus familiaris angehört. Er behauptet, es sei eine Kreuzung zwischen einem Wollschwein und einem Sofakissen) unterwegs ist – oder halt mal: „unterwegs ist“ muss in diesem Fall als unzutreffende Formulierung angestrichen werden. Ich hab’ die Beiden – Madame und das, was sie als „Pekinesen“ bezeichnet, nämlich noch nie in Bewegung gesehen. Wann immer ich die Beiden treffe, sitzen sie auf einem karierten Plaid auf irgendeiner Bank, wobei Hundi (oder wie immer man das nennt) jappt wie unsere Zwei, wenn sie im Hochsommer bei 30° C in der prallen Sonne zweimal den Hügel rauf- und runtergesaust sind.

Der Professor hat ja mal behauptet, die Beiden würden auf der Bank leben, aber das kann nicht sein. Ich habe sie nämlich schon an verschiedenen Stellen im Park getroffen. Ich weiß nur nicht, wie die da hinkommen. So ganz sicher, dass die vier Fortsätze, die aus dem Tier an diversen Ecken rausstehen, tatsächlich der Fortbewegung dienen, bin ich nämlich auch nicht. Ich vermute inzwischen, dass die Dame früher einen Kraftakt im Zirkus gemacht hat („Nein,“ sagte der Pfleger, der mich auf den Untersuchungstisch zu hieven hatte, „Sie sind nicht zu schwer. Ich hab’ früher die Elefanten bei Krone rausgetragen.“) und heutzutage ihre Kondition damit erhält, dass sie Hundi durch den Park trägt.

Wie auch immer: Gestern habe ich die Lady irritiert. Ich saß nämlich nicht auf dem dicken Schimmel, sondern auf dem braunen Prince.

Normalerweise beschränkt sich unser Kontakt darauf, dass ich sie freundlich grüße und sie ebenso freundlich zurück grüßt. Gestern aber staunte sie mir schon von weitem entgegen und als ich ihr dann – man ist ja wohlerzogen und ältere Damen werden selbstverständlich zuerst gegrüßt – auf 10 Meter mein „Good morning!“ zurief, stand sie auf und trat auf den Weg. Dem entnahm ich, dass sie mehr als einen Gruß loswerden wollte, also habe ich durchpariert. Sie grüßte darauf ziemlich kurz und stellte dann fest: „That’s not your horse!“

Dem konnte ich nicht widersprechen. „No, he isn’t. He belongs to friends of mine.“ (die Besitzverhältnisse zu erklären, wären etwas kompliziert).

„And where is your horse? The white one?“

„On the meadow.“

“You’re not riding it today?“

“Nope. He’s got his exercise at the longe.“

Sie legte den wohlondulierten Kopf etwas schräg und betrachtete Prince. „He’s brown.“ Auch dem hätte ich schwerlich widersprechen können. Darauf meinte sie: „And you’re not English!“

Wieder eine Feststellung, zu der ich nicken musste. „I’m from Germany. And so is he.“ Ich klopfte Princes Hals.

Darauf stellte sie fest: „I like your white horse better!“ Das klang abschließend und tatsächlich setzte sie sich wieder hin.

Damit war ich offenkundig in Gnaden entlassen, worauf ich noch mal die Hand an den Helm hob und Prince wieder vorwärts schickte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er verstanden hat und es überhaupt nicht nett fand, dass diese Dame den Dicken lieber mag. Er schüttelte den Kopf und stapfte dann in ziemlich zügigem Schritt los. Als wir dann etwas Sicherheitsabstand hatten, habe ich ihm erzählt, dass er nichts auf die Dame geben soll. Mag sein, dass die Dame Schimmel mag, aber das ändert nix dran, dass er ein sehr hübscher Brauner ist. Zudem war ich mal wieder an dem Punkt, an dem ich darüber nachgedacht, ob ich mir den Satz „Die spinnen, die Briten“ mal vertonen lassen sollte, damit ich ihn wie ein Wagner’sches Leitmotiv immer pfeifen kann, wenn mir danach ist.

Ich bin schon mal gespannt, was Klecks im Sattel erzählt, wenn sie heimkommt. Ich bin ziemlich sicher, dass die Lady mit Hundi noch im Park ist – und sie wird unter Garantie kommentieren, dass der dicke Schimmel heute nicht mit mir unterwegs ist.

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