Sonntag, 27. November 2011

Von Risoliers und Spitzenköchen

Ich esse gerne gut. Außerdem koche ich gerne. Ob auch gut, mögen die, die ich bekoche, entscheiden. Doch aus dem gerne Essen und Kochen ergibt sich, dass ich mich für Lebensmittel und ihre Zubereitung interessiere, also eine eifrige Leserin von Kochbüchern und Zeitschriften* bin und mir in diversen Mediatheken auch immer mal wieder die eine oder andere Kochsendung angucke.

Allerdings muss ich mich beim Lesen und Kochsendungen gucken immer mal wieder echauffieren – wie zum Beispiel die Tage, als ich bei SPON über diesen Artikel gestolpert bin: Der Risolier. Da lernte ich, dass es einen Menschen gibt, der sich auf Reis spezialisiert hat. Nun liebe ich Reis in jeder nur denkbaren Zubereitungsform so sehr, dass der Professor schon manchmal überlegt, ob ich einen Chinesen im Stammbaum gehabt habe. Also eilte ich flugs zum Webshop des Risoliers (falls Ihr mir dahin folgen wollt: Der Online-Shop vom Risolier) – und da wurde mir dann etwas schwindelig. Unter den angepriesenen Sorten war nämlich zum Beispiel der „Wizard of Laos“-Reis, der beim Kochen violett wird. Der Risolier weiß dazu: „Violett ist die Farbe der Magie und der Verschmelzung von körperlichem Rot und geistigem Blau. Weil sie in der Natur so selten ist, steht sie auch für Lebensfreude und die Schönheit des irdischen Seins, aber auch für die Verbindung zur Geisterwelt.“

Boing – das knallt rein, oder? Und wenn man dann noch erfährt, dass „Leidenschaft und Lebensbejahung“ den Weg dieses Reises begleiten und sich vermutlich beim Essen übertragen – wer könnte da widerstehen? Vor meinem geistigen Auge tat sich die Vision einer leckeren Portion violetten Reises auf, vielleicht mit einem kleinen Stich Butter serviert? Und um der Leidenschaft willen – ich bin immer sehr für Leidenschaft! – bei Kerzenschein im tête-á-tête mit dem liebsten Menschen serviert? Mein Finger schwebte schon zum ultimativen Klick über der entsprechenden Maustaste. Doch dann fiel mein Blick auf den Preis des „Wizard of Laos“: € 9,80. Für 400 Gramm. Das Ganze nochmal in Worten: Neunachtzig für vierhundert Gramm! Macht die Kleinigkeit von 24,50 für ein Kilo Reis. Zuzüglich Versandkosten.

Doppelboing. Ich atmete ganz tief durch und klickte – auf das rote „x“ oben an der Seite. Trotz heftiger Bemühungen ist es mir nämlich immer noch nicht gelungen, einen Geldscheißer zu züchten. Und auch auf Ebay habe ich noch nie einen gefunden, obwohl ich wirklich schon mit einem ganz kleinen, gerne auch gebrauchten, zufrieden wäre. Doch selbst wenn die Dukaten bei uns die (nicht vorhandene) Dachboden-Treppe herunter rollen und sich in Bergen an ihrem Fuß sammeln würden, hätte ich nicht vor, sie schaufelweise für den Kauf von violettem Reis zu 24,50 das Kilo – und mag er noch so leidenschaftlich und lebensbejahend sein – einzusetzen. Da käme ich mir nämlich vor wie ein Römer im degenerierten Spätstadium: „Darf’s noch ein bisschen vom Pfauenzungenragout sein oder lieber ein Stückchen vom geräucherten Eidechsenpenis? Ach, lieber violetter Reis mit eingebauter Leidenschaft? Der stopft aber – da würde ich empfehlen, vorher noch mal mit der Pfauenfeder im Hals unseren luxuriösen 12er-Marmor-Donnerbalken mit fließend Wasser aufzusuchen!“

An der Stelle fällt mir dann der Herr Schuhbeck, Alfons ein, der des öfteren Freitagnachts bei „Lanz kocht“ mit unnachahmlicher Arroganz darüber zu dozieren pflegt, dass man bereit sein müsste, für gutes Essen gutes Geld auszugeben. Sollte man nicht wissen, wo man sein gutes Geld los werden kann: Herr Schuhbeck hilft auch da weiter – auf seiner Website kann man zum Beispiel so nette Kleinigkeiten wie 100 ml Balsamico-Essig (um genau zu sein: Aceto Balsamico Saporoso Malphigh – ist der Name nicht Musik?) für nur € 19,00 erwerben. Nur könnte es etwas schwierig werden, dazu das passende Olivenöl zu finden. Schuhbecks Shop schwächelt (hach, eine Alliteration! Ist das nicht schön?) diesbezüglich nämlich: 500 ml Olivenöl kosten € 16,95. Mit Verlaub, Herr Schuhbeck: Das muss besser gehen! Ein bisserl handverlesen macht’s noch nicht – das Olivenöl für den wirklichen Kenner und Genießer sollte mindestens von kretischen Jungfrauen unter Absingen altgriechischer Oden bei Neumond fußgepresst sein! Da könnte man dann 100 ml ebenfalls für neunzehn Euronen verkaufen. Das Ganze dann mit einem selbstverständlich biologisch-dynamisch angebauten Salat (mir würde da Portulak schmecken) und einem Stückchen Baguette (die Hofpfisterei kann sicher mit einem ziemlich teuren Baguette helfen. Und wem das nicht exklusiv genug ist, kann es sich ja direkt aus Paris, aus dieser „kleinen, ganz versteckten Bäckerei bei den Markthallen, wo morgens um halb fünf die wirklichen Spitzenköche einkaufen“, einfliegen lassen. Irgendwie muss es doch möglich sein, einen Salat in die Preisklasse zu schieben, in der Lieschen Eßbanause schon glaubt, feinsten Kaviar mit Blattgoldauflage zu bekommen!

Doch Herr Schuhbeck ist in seiner Neigung zum Teuren nicht allein. Gestern Abend bei „Lanz kocht“ bewies nämlich sein Kollege Alexander Herrmann, dass „Schmackhafte Gerichte, schnell und lecker“ (so der Titel der Sendung) den kleinen Luxus aus der Abteilung „Man gönnt sich ja sonst nix“ nicht ausschließen. Bei ihm gab’s Maronencappucino mit „etwas“ schwarzem Trüffel. Und weil’s so schön war, verlangt das Rezept dann neben 30 g eingelegtem, schwarzen Trüffel (100 g sind online für leckere € 45,00 zu bekommen) auch noch „4 cl Trüffelsaft“. Selbiger wird, so erklärte der Spitzenkoch, aus den schwarzen Trüffeln hergestellt, die nicht so schön sind. Darum gibt es ihn auch im Sonderangebot für nur 47 Euro (ungefähr) pro Liter.

Liebe Leser, nun mal ganz ehrlich gefragt: Haben die einen an der Waffel oder ich? Mir ist durchaus klar, dass gute Zutaten für ein gutes Essen wichtig sind. Mir ist des weiteren klar, dass man bei einem Kilopreis von 9,99 für Fleisch nicht viel erwarten darf. Ich habe auch nicht vor, unsere Weihnachtsgans (oder was immer bei uns an Weihnachten auf den Tisch kommen wird) beim Aldi im Sonderangebot zu erwerben. Und wer in unseren Kühlschrank guckt, wird darin eine ganze Menge Lebensmittel mit dem Aufdruck „Bio“ finden (und wenn’s denn Milch ist, dann bitte nicht nur Bio, sondern regional und in Deutschland mit der Garantie, dass die Bauern faire Preise bekommen). Unsere Eier sind von uns bekannten Bauern, deren Hühner freilaufen dürfen; Obst und Gemüse wird saisonal auf Bauernmärkten eingekauft; vom Fleisch wissen wir fast immer, wo es herkommt, „Analogkäse“ käme uns nicht ins Haus und beim Öl achten wir durchaus auf Qualität. Dennoch kriege ich bei 75 % aller Kochsendungen und -berichten das Kopfschütteln.

Die Herren und Damen Spitzenköchinnen und Spitzenköche beklagen immer sehr beredt, dass zwar in Deutschland xundzwanzig Kochsendungen im Fernsehen laufen, dennoch aber immer weniger gekocht würde. Haben die sich vielleicht schon mal überlegt, dass ihre hochgezwitscherte Kocherei daran mitschuld sein könnte? Dass sie dadurch, dass alles immer nur vom feinsten sein muss und sie sich anstellen als ob schon das Passieren eines Aldis auf dem Heimweg vom Biometzger das Fleisch zäh oder wässerig machen würde, vielleicht den „Kochunwillen“ so mancher Kochshow-Gucker mit auslösen?

Ja, ich beobachte es auch: In Deutschland sind Lebensmittel im Vergleich zu dem, was in anderen Ländern dafür bezahlt wird, extrem niedrig. Ich erinnere mich, wie ich beim ersten Einkauf in einem irischen Supermarkt am Gemüsestand angesichts der Preise dachte: „Ich weiß gar nicht, was die Leute immer haben. Ist doch gar nicht so teuer.“ Dann fiel mir aber ein, dass die mir so vertraut erscheinenden Preise sich auf Irish Pound bezogen – und der Wechselkurs war damals so ungefähr 1 IP = 2 DM. Und wenn ich sehe, was in England stinknormale Spaghetti kosten, dann bin ich des öfteren geneigt, beim nächsten Heimaturlaub die Tatsache, dass ich kaum Gepäck habe, für die Einfuhr von 15 kg deutscher Spaghetti zu nutzen. Aber – und das vergessen die über unsere Lebensmittelpreise und die „Geiz ist geil“-Mentalität der Deutschen klagenden Spitzenköche und ihre Anhänger gerne: Was die Iren und Engländer für Lebensmittel mehr ausgeben als wir, sparen sie dafür, wenn sie bauen (es sei denn, sie bauen in der Nähe ihrer Metropolen – da kosten selbst Hundehütten ein mittleres Vermögen). Nach meinem Gefühl sind die Lebenshaltungskosten in England beziehungsweise Irland nicht viel höher oder niedriger als die der Deutschen – sie verteilen sich nur anders.

Darum würde ich den Superköchen und ihren Anhänger gerne ins Gebetbuch schreiben: Wenn Ihr wirklich etwas für die Eßkultur der Deutschen tun wollt, wenn Euch wirklich daran gelegen ist, dass wieder mehr gekocht wird, dann kocht endlich mal „normal“! Führt doch mal vor, was man mit „normalen“ Zutaten, die sich ein Normalverdiener leisten kann, auf den Tisch zaubern kann! Hört auf, Trüffel-Jus und nur im Spezialgeschäft für horrende Preise erhältliche nordbalinesische Hochland-Edelvanille zu verbraten, sondern zeigt mal, was Ihr mit dem, was ein Edeka seinen Kunden anbietet, schmackhaftes kochen könnt! Und wenn Ihr dann noch das inzwischen im Supermarkt erhältliche Zitronengras (igittigitt) und Lachs in jeder Form weglasst, habt Ihr in mir eine Freundin gewonnen, die mit Freuden nachkochen wird, was ihr vorkocht.


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* Zum Blättern und Lesen mag ich momentan am liebsten „Beef“ – obwohl das Blatt ja eigentlich Männer als Zielgruppe hat. Doch das Layout ist interessant, die Schreibe ist gut und meist lernt man darin auch was über Lebensmittel. Doch wenn’s um die Kochpraxis geht, so habe ich festgestellt, dass das Magazin, aus dem ich das meiste nachkoche, immer noch das gute, alte, an Supermarktkassen ausliegende „Meine Familie und ich“ ist.

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