Freitag, 2. Dezember 2011

Guilty pleasures, die erste

Ich sollte mich schämen. Ich sollte es nicht wieder tun. Aber andererseits kann ich nichts dafür. Es ist bei mir wahrscheinlich genetisch verankert oder durch frühkindliche Prägung entstanden. Meine Mutter, obgleich eine sehr gescheite und gebildete Frau, hat’s nämlich auch getan – ungeachtet der Tatsache, dass mein Vater in diesem Punkt ausnahmsweise mal mit seinem Schwiegersohn konform war. Die Beiden haben immer gemeinsam die Augen verdreht und sich dann mit dem Seufzer „Frauen!“ beziehungsweise „Women!“ hinter den Wirtschaftsteil der Zeitung verzogen.

Eben habe ich es wieder getan. Anstatt zu arbeiten oder hier wenigstens ein superschlaues, weltbewegendes Essay über den Einfluss des Pferdes auf die Sprachentwicklung in Europa (ja, den gab’s tatsächlich!) zu verbrechen und damit meinen brillanten Intellekt unter Beweis zu stellen, habe ich mich auf www.bunte.de geschlichen. Und kaum wage ich es zu gestehen, aber:  Die Seite wird in meinem Browser unter „meist besuchte“ gelistet.

Ja, es ist mir peinlich. Ich rede nicht gerne darüber. Aber wir sind hier ja unter uns und da kann ich es zugeben: Ich gebe mir ungefähr dreimal die Woche eine nicht zu kleine Portion Klatsch und Tratsch. Und sollte ich vom Schicksal dann auch noch mit einem Arztbesuch gestraft werden, so versuche ich dem dadurch etwas Positives abzugewinnen, dass ich dort die Printausgabe der Bunten und meist auch noch Gala lese. Mein Hausarzt grinst deswegen schon immer wie ein Maikäfer, aber bitt’schön, was kann ich denn dafür, dass es in seinem Wartezimmer außer diesen beiden Magazinen nur Spiegel, Stern und auto, motor und sport gibt? Spiegel und Stern habe ich abonniert und immer schon gelesen, wenn ich zu ihm komme und an der ams interessieren mich höchstens die manchmal recht originellen Überschriften.

Ansonsten aber finde ich es viel spannender, ob „unser Silviäle“ (wie eine verstorbene Nachbarin Königin Silvia von Schweden immer zu apostrophieren pflegte) ihrem ungetreuen Karl den Xundzwanzigsten Gustav (mein eigentlich durchaus monarchistisch gesinntes irdisch Glück pflegt dessen Erscheinung immer mit „chinless wonder as he is“ zu kommentieren) wohl bald mal zeigt, wo in Schloss Drottningholm der Hammer hängt (ich vermute übrigens, dass der nicht hängt, sondern liegt – auf ihrem Frisiertisch. Er wird bestimmt gebraucht, um abends vor dem Schlafengehen das halbe Pfund Haarspray der Marke „Betonfest“ aus ihrer Frisur zu schlagen); ob die neue Fürstin von Monaco (vom Professor bisher unkommentiert, aber ich denke, da würde ein „broad shouldered wonder as she is“) nun bald ihrer dynastischen Pflicht nachkommt und ihrem Albert einen legitimen Erben schenkt und ob die spanische Kronprinzessin nach dem Genuss dreier Erbsen statt des sonst üblichen halben Salatblattes eine neue Garderobe anschaffen musste.

In diesem Zusammenhang wäre ich dann auch sehr interessiert, was Karl, der unvermeidliche Lagerfeld, dazu zu sagen hat, wobei ich mich bei ihm die Tage darüber wundere, wie man eigentlich in Hamburg Schnöselsdorf, wo er herkommt, das Wort „Gemüse“ ausspricht. Vermutlich anglisiert – oder wie sonst wäre es zu erklären, dass er die Bezeichnung „Muse“ in Bezug auf „Clodia“ Schiffer nicht hören will, weil das wie „Gemüse“ klinge? Vielleicht müsste ihn mal jemand darüber aufklären, dass es sehr wohl Engländer gibt, die das deutsche „ü“ aussprechen können. Mein Professor jedenfalls kann es. Wenn er nun auch noch den Unterschied zwischen „ab“ und „an“ lernt (er meinte neulich, er sei nach einem anstrengenden Tag „abgegriffen“) und dass man in Deutsch Menschen, die einem nahestehen, per „Du“ anspricht, kann er sich bei der „Bunten“ als Schreiber bewerben. Sein Deutsch ist mindestens so gut wie das der Chefredakteuse Patricia Riekel, die ich alleine dafür, wie sie – obwohl selbst in Richtung Moppel tendierend – den Schlankheitswahn weiblicher VIPs wohlwollend kommentiert, gerne mal mit Schmackes in den Allerwertesten treten würde.

Allerdings stelle ich bei meinen Internet-Streifzügen über Klatsch- und Tratschseiten immer öfter fest, dass ich alt werde. Nehmen wir zum Beispiel die Mutter aller Tratschseiten, die amerikanische www.tmz.com.

Die hat im Moment eine Exklusivmeldung über einen gewissen Kris Humphries ganz oben. Der war oder ist oder was auch immer mit einem amerikanischen Reality-TV-Sternchen verheiratet. Aber wer, zum Geier, ist „Soulja Boy“ und warum soll’s mich interessieren, dass er Hasch und eine Knarre in einer Aktentasche spazieren getragen hat? Und das ein gewisser Dan Cortese sich scheiden lässt, interessiert mich auch nicht – ich weiß nicht mal, wer oder was der Herr ist und tut.

Da lobe ich mir doch meine Bunte! Bei der erfahre ich heute, dass selbst Prinzessinnen „oft bittere Tränen“ weinen. Madeleine (das ist hübsche Tochter von unserem Silviäle, im Gegensatz zu Victoria, die zwar Kronprinzessin ist, dafür aber auch ihrem Vater ähnlich sieht. Immerhin hat sie in einem Glück gehabt: Die Extremnase, die ihr bürgerlicher Vorfahr Jean-Baptiste Bernadotte gehabt haben soll, hat sich offenkundig im Lauf von ein paar Generationen ausgemendelt. Dummerweise scheint aber auch die Intelligenz, die Napoleons ehemaligen Marschall ausgezeichnet hat, durch die Hinzufügung diverser Hochadelsgene verwässert worden zu sein) musste nämlich die Tage erfahren, dass ihr Ex-Verlobter mit einer Ex-Freundin von ihr nicht nur liiert ist, sondern zusammenzieht. Die Bunte weiß es genau: „Das Paar habe sich am Donnerstag die Schlüssel für seine acht Millionen Kronen teure Luxus-Wohnung (umgerechnet circa 875.000 Euro) im Stockholmer Nobelviertel Östermalm abgeholt“. Arme Madeleine! Sie weint jetzt sicher bittere Tränen, weil sie nicht so nobel wohnen darf. Ich meine, was ist schon so ein zugiges, olles 100-Zimmer-Schloss gegen eine Luxus-Wohnung in einem Nobelviertel?

Dafür ist „Neu-Single“ Demi Moore anscheinend schon eifrig damit befasst, das Attribut „Neu-Single“ wieder los zu werden. Laut der Bunten „datet“ sie schon wieder. Und man stelle sich vor: Der Herr, mit dem sie da angeblich zarte Bande knüpft, sieht aus, als ob er seinen 30. Geburtstag schon hinter sich hätte! Zu dumm, dass die Bunte beim üblichen Voting die falsche Frage stellt: „Demi wieder im Dating-Dschungel – finden Sie das zu früh?“ Die Frage hätte lauten müssen: „Ist dieser Kerl zu alt für Demi?“

Begeben wir uns aber aus der Spalte „Stars“ in die Spalte „Society“. Wer jetzt Louis Armstrong mit dem Klassiker „High Society“ im Ohr hat (http://www.youtube.com/watch?v=ELKNyDdNCbY&feature=related) liegt allerdings ganz falsch, denn die Meldung des Tages kommt von Frederic Prinz von Anhalt, dem man ja nun nicht unbedingt wirklich bescheinigen will, dass er zu den „oberen“ Zehntausend gehört. Dafür weiß der Mann, wie man, selbst wenn man absolut nichts leistet, immer wieder in die Schlagzeilen kommt. Heute allerdings berichtet er nicht von seinem Viagra-Verbrauch oder klappert mit den Knochen seiner Zombie-Gattin, sondern betätigt sich als psychiatrischer Gutachter, in dem er feststellt, dass seine Stieftochter Francesca Hilton „nicht ganz klar im Kopf“ ist.

Sie meint nämlich, er sei kein guter Ehemann! Er wiederum befindet, dass sie nur hinter Mütterchens Kohle (ist da noch welche? Ich hätte vermutet, dass er die schon durchgebracht hat. Aber wir müssen uns keine Sorgen machen: Er wird dem deutschen Steuerzahler nicht zur Last fallen. Wenn’s eng wird, adoptiert er noch ein paar titelwütige Bordellbetreiber) ist. Sie habe ihn nämlich am Krankenbett ihrer Mutter angebrüllt, „warum er Zsa Zsa weiter am Leben halte“. Damit aber nicht genug! Der Bunten berichtet der Möchtegern-Blaublütler: „Dann hat sie mir mit der Faust in den Magen geschlagen, so dass ich hingefallen bin und mich verletzt habe.“

Hmmm – vielleicht sollte er sich mit Madeleine von Schweden zusammen tun? Sie könnte ihm ihre naßgeheulten Taschentücher zur Abkühlung aufs verletzte  Bauchi legen und sie könnten gemeinsam  ihr hartes Schicksal beklagen. Und wenn sie dazu dann noch einen Reporter von der Bunten einladen, ist garantiert, dass ich auch weiterhin was zu lesen habe und mich in den Niederungen meines Daseins damit trösten kann, dass es den Schönen und Reichen auch nicht besser geht.

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